Von Freiheit und innerer Freiheit - Steffen Kersken

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Von Freiheit und innerer Freiheit

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Von Freiheit und innerer Freiheit

Unsere Gesellschaft kommt ständig mit neuen Sachen um die Ecke, und ich habe oft das Gefühl, den Verdacht und eine Portion Argwohn, das wir jeden Fortschritt mit schreiten müssen, jede Entwicklung uns mit entwickeln soll, jedes neue Ding uns erneuern soll und zwar im schnellen  Galopp. Man ist vom Fortschritt gerade erst erneuert worden, da kommt schon der nächste im Galopp vorbei geritten und will was von dir!
Altes Handy und du wirst schief angesprochen, quasi von der Seite angeschaut, nicht wahr. Keine ACTIVE-Uhr und du gerätst ins Kreuzfeuer, kriegst einen vor den Latz geknallt. Einmal ne schlechte Krawatte im Büro und dir bläst der Wind ins Gesicht, überspitzt gesagt.
Mitmachen oder nicht? Wir müssen schon früh abwägen, was gut oder schlecht ist: Welche Schule ist gut oder in welchen Kindergarten schicken wir die ganz Kleinen?
„Also man sagt ja, der Kindergarten an der Blumstraße ist der Beste. Also nicht man, sondern die Frauen aus der Wusel-Krabbelgruppe sagen das. Also drei von der Wusel-Krabbelgruppe sagen das beziehungsweise die Lisa Schmidktes sagt, der Kindergarten in der Blumstraße ist der Beste. Also da müßten sich schon viele Leute irren, also ganz viele, wenn dat nicht der Beste Kindergarten von ganz Trompet, Bergheim, Oestrum und Rumeln-Kaldenhausen wäre!“
Letztens in der Warteschlange bei Aldi, hat mir auch jemand von der Schule berichtet:
„Da gibt es Unterschiede, ja ja, vor allem die Ausländerzahlen, Herr Kersken, allein die Ausländerzahlen an Ihrer früheren Schule! Herr Kersken, ich sag es Ihnen mal unter vorgehaltener Hand, ich bin ja nicht Ausländer feindlich, aber da fürchtet sich mein Kind in die Pause zu gehen!“
Was wird studiert? Nur das Beste, versteht sich von selbst: „Akademiker, nicht wahr, darunter ist man nichts! Guck mich an, ich musste dat ganze Leben schuften, dat sollst du ma nich!“
Tablets für die Kids ab zwei und was sind die coolsten Schuhe für Dreijährige?
Das sind die Sorgen der jungen Elterngeneration! Bloß alle Trends im Auge behalten, immer Up to Date, sich auf den neuesten Stand bringen,automatischer Neustart, erneuern, pushen, digitalisieren und vervollständigen. So muss dat, liebe Freigeister! Und in Zeitschriften liest man plötzlich von Krankheiten, da habe ich das Gefühl, die bekommt man erst, seitdem man sie erfunden hat!
Oder der Thermomix. So ein kleines, geschmackloses Ding, spaltet eine ganze deutsche Gesellschaft!
Entweder oder, ja oder nein zum Thermomix! Schwarz oder Weiß! Das sind die  Kern-Probleme unserer Gesellschaft, wenn man den Themen einer Garten-Party nachgeht! Syrien wird platt gemacht, aber am Stammtisch streitet man über den Thermomix! Oder diese ganzen Ernährungstrends, muss man da alles mitmachen?
Omnivore Esser, Rohköstler, Vegetarier, Veganer, Frutarier, Marsianer und son Gedöns!

Also ich steh nachts auch für ne einfache Bockwurst auf, ganz ohne schlechtes Gewissen!
Ehrlich, ich mach für son Würstchen mitten in der Nacht die Alarmanlage  aus, da kenne ich nix! Da hab ich auch keine Malesse mit, bzw. schwere Gedanken oder ein schlechtes Gemüt, moralische Bedenken oder es grüßt mich die Justitia, von wegen Fleisch! Es muss nur im Rahmen bleiben und wir können bewußt mit Fleisch und dem Töten von Tieren umgehen, muss aber alles gleich ins Extreme verfallen?
Auch diese modernen Diäten, da blickt doch schon gar kein Schein mehr durch! Letztes Jahr  hat man mir  zum Beispiel ein Gutscheinbuch geschenkt, und das kennen Sie vielleicht auch,  der Niederrhein ist mittlerweile übersät und sogar zugepflastert mit griechischen Restaurants!
Ich habe eine Woche lang nur mit griechischen Gutscheinen, die sogenannte Steinzeit Diät ausprobiert. Kennen Sie Steinzeitdiät?
Nur Fleisch, keine Kohlenhydrate!

Montags, Gyros, Dienstags Bifteki, Mittwochs Moussaka, Donnerstaks Suzuki und Zaziki, Freitags Souvlaki, Samstags Kleftiko und Sonntags die Olympia Platte - Is ja Sonntag! 25 Kilo! Leider zugelegt!
Aber bei unserem Griechen in Bergheim ist der Gutschein besonders nett: zehn Ouzo trinken, eine Flasche Ouzo umsonst! Muss man aber noch im Laden vertrinken! Nee, mitnehmen geht noch nicht!
Ich war jedenfalls mit den Langscheids beim Spanier, und mal nicht beim Greichen, da war ich ganz froh, und die Gisela Langscheid, eine Herzens-Seele, liebe Freigeister, aber die Gisi spricht nicht in Sätzen, sondern in Anekdoten! Man könnte auch ironisch behaupten, die Gisi liebt das Nähen, denn sie ist öfters mal auf der Suche nach dem roten Faden, nicht wahr!
Also, in ihrem Kopf hat vieles noch einen Sinn, aber auf ihrer Zunge verliert sich oft jegliche sinnvolle Essenz, in ein niederrheinisches Paradoxon!
Das ist quasi die Problemzone des Niederrheiner: der rote Faden!
Die Gisi besitzt auch die Lebenskunst, zu 90% mit Leuten auszukommen, die sie nicht mag! So hört sich dat zumindest an, wenn Niederrheiner über andere erzählen und vor allem, wenn die Gisi erzählt! Überhaupt, egal wo man heutzutage hingeht, überall wird schlecht gemacht, runter geputzt, verunglimpft und wie schlecht doch alles ist, im Verein, mit den Freunden, auf der Arbeit, in der Gesellschaft und sowat alles.
Niemand denkt mehr positiv, so hab ich es im Verdacht, und sagt frei raus, was er möchte.
Lieber Protestwählen, als konstruktive Kritik üben und  für eigene Bedürfnisse richtig einzustehen. Mal echt sein und keine Fassaden zeigen, das gelingt vielen doch gar nicht mehr, nee, lieber wegducken und sich über Greta Thunfisch lustig machen, oder Thunberg. Statt mit zu verändern, erst mal schön abwerten, statt aufzustehen, sich lustig machen oder vor den Latz knallen.
EINFACH MAL MITMACHEN!
Es geht uns vielleicht zu gut, als das wir uns konstruktiv bewegen, kritisch in Fahrt kommen, auf die Straße gehen und mal Werte hochhalten. Komfortzone und Wohlstands-Adipositas, nenne ich das.
Für viele geht Empathie und Perspektivwechsel nicht weiter, als die Drehweite ihres Barhockers in der Stammkneipe!   Prost.
Ich führte mit Gisi gerade ein Gespräch, da lief der Herbert Menzel an uns vorbei, Richtung Klo! Da unterbricht Gisi unsere laufende Unterhaltung und begann ein so genanntes, niederrheinisches Randgespräch:
„Hömma, hasse gehört!“
So fangen die meisten niederrheinischen Randgespräche an. Also hören, heißt auf lateinisch audite. Hörsse nicht, heißt non audies und hör mal, hast du gehört, ist bereits gesteigert, also hör mal besser doppelt hin, eben auf Niederrömisch:
Hömma, hasse gehört!
„Dat ist der Herbert Menzel. Ganz tragisch, Steffen. Ganz tragisch! Er hat seine Frau mit Haus und zwei Kindern, nach 30 Jahren Ehe sitzen gelassen! Plötzlich schwul!
Ganz tragisch! Er ist Steward, musse wissen, und hat den Neuen auf dem Flug Weeze nach Mallorca kennengelernt!
Um es mit Parship auszdrücken: Saftstupse traf Maschinenbau-Ingenieur! Tragisch!
Für die Hinterbliebenen wird schon im Kindergarten gesammelt, also für Frau und die Kinder!“
Mitten im Gespräch, erzählt Gisi mir plötzlich das halbe Leben von Herbert Menzel, so als 30 Sekunden Randgespräch. Am Rande, nebenbei, seitlich der Peripherie oder abseits des Kerns. Niederrheinisches Randgespräch eben!
Also Vorsicht, liebe Querdenker, ich würde mir schwer überlegen, ob ich in niederrheinischen Kneipen noch auf Toilette gehe! Lieber sitzenbleiben! Ausharren, wegducken, Nest hocken!
Oder letzte Woche in Moers, ich war am „Pissoir“, das ist Französisch und heißt „Pinkelbecken“, neben mir stand noch einer und hinter uns huschte im Augenwinkel eine Person vorbei. Sagte der neben mir: „Dat war der Peter Brommer, gaaanz schlimme Gürtelrose hat der gehabt, der is froh, dat der noch am Leben is! Aber wegen der Gürtelrose guckt der nicht so brummig, der guckt immer so, das hat man manchmal, nicht wahr, das Leute einfach „Naturbrummig“ sind!“
Ich sag: „Wer sind sie überhaupt?“, geh wieder ins Lokal, saß der Peter Brommer an der Theke, den ich nicht persönlich kenne und ich sagte im Vorbeigehen: “Gute Besserung!“, und er sagt wie ganz selbstverständlich: “Daaanke!“
Dat is Niederrhein! Und genau dat sind niederrheinische Randgespräche, liebe Querdenker, wie sie leben und leiden, oder leben und leiben!
Nee, aber die Gisi kann auch total ernst! Total nachdenklich! Dann merkt man auch, wie Weise sie im Kern sein kann, wie frisch ihre Seele aufblüht und was für ein schönes Gemüt in Wahrheit in ihr steckt. In Ihr steckt quasi ein gesunder Kern,  oder die skurrile Fassade hat einen liebevollen Kern, einen weichen Kern in bunter Schale und des Pudels Kern ist irgendwo vergraben.
So in der Art, irgendwie!
Gisi verfällt dann plötzlich, so von jetzt auf gleich,  in eine Art niederrheinische Poesie:
„Also ich glaube, wir sind nicht mehr frei, deshalb fühlen wir uns so verloren, so abgehängt, kriegen keine Luft. Freiheit, das ist so ein Wort. Sind wir Deutschen noch frei, bin ich noch frei? Können wir noch frei entscheiden, oder handeln wir noch frei? Äußern wir noch unsere Meinung? Gehen wir noch unseren Weg oder den der anderen? Folgen wir dem Trend oder unseren Bedürfnissen?
Verstehsse Steffen, welche Freiheit ich meine? Nicht die Freiheit in Frieden zu leben, oder das unsere Existenz gesichert ist, das ist für viele schon selbstverständlich, nein, ich meine die wirkliche Freiheit, die andere Freiheit!
Verstehsse Kersken?“
„Nee noch nicht!“
„Freisein, Freiberuf, Freikauf, Freiland, Freihand, Freidenker, Freifahrt, Freiwurf, überall diese Freiheit, wohin man auch guckt, begegnet einem die Freiheit.
Meinungsfreiheit, freier Wille, Freiwähler, Freischlag, Freistelle, Freizügig, Freigeboren, so viel Frei, frei, frei, aber sind wir wirklich frei?
Frei im Handeln, frei in den Entscheidungen, frei den Weg zu wählen, frei in der Sprache?
Diese Freiheit meine Ich, diese Freiheit! Wo ist sie in all dem Frei?
Freigiebig, Freikämpfen, Freilassing, Freigewerbe, Freihandel, Freikaufen, Freilassung, Freiheit, Freiheit, Freiheit, überall und „nöcher“ die Freiheit: es lebe die Freiheit, ein Prost auf die Freiheit. Prost, du Freiheit!
Freiübung, Freizügig, Freiluftkino, Freizeitpark, ach wie frei wir sind! Freinehmen, Freischläfer, Freigabetermin, Freigeschaltet, Freilichtbühne, Freiheitskrieg, Freigeschwommen, Freiverkäuflich, Freikarteninhaber, Freizeitausgleich... werte Dame, ich bin so frei!
Freiheit. Die Freiheit. Unsere Freiheit. Gott sind wir frei!
Freilich kaum zu glauben!
Aber wo ist die Freiheit in Syrien, im Irak, in Israel und Palästina, wo ist die Freiheit versteckt, also unsere besagte Freiheit? Hier bei uns soll sie sein, ich bin so frei. Aber siehst du sie, Steffen? Spürst du sie? Wo ist die Freiheit, die diese Syrier, Afghanen, Afrikaner und wie sie alle heißen, zu uns führt? Wo ist diese Freiheit, die ich meine? Spürst du diese Freiheit?
Nicht die Freiheit, sondern die andere Freiheit, wonach wir uns insgeheim alle nach sehnen, trotz dieser täglichen Freiheit und dem vielen frei sein! Freistaat, Freitag, Freigabe und Freizügig!
Warum fühlen wir im Innern nicht diese Freiheit, wo sie doch überall bei uns rumliegt? Wieso spüre ich nichts, wenn da so viel Freiheit scheint? Freischein. Ich spüre Enge. Ich spüre Bedrücktheit. Misstrauen. Druck. Ich fühle mich ersetzbar.
Ich rede von Freiheit, nicht dieser Freiheit, sondern der anderen Freiheit, nach der wir uns eigentlich ein wenig sehnen: im Alltag, auf der Arbeit, im Verein, beim Händeschütteln, beim Leben, beim Lieben und beim Stark sein. Mal verzeihen können, mal schwach sein dürfen, mal nicht jede Entwicklung mit gehen zu müssen, nicht immer ansprechbar sein, maximal online,  und ein Leben, als Problemlöser zu leben. Mal sieben gerade lassen.  Keine 110%.  Wenn du verstehst, was ich meine! Diese Freiheit meine ich, ja, diese Freiheit meine ich! Vielleicht diese Freiheit, die Flüchtlinge gar nicht bei uns suchen.
Wenn Du verstehst, was ich meine, und von welcher Freiheit ich eigentlich spreche...“


Bilder im Buch: Petra Klein
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